„Es geht um Freude auf die Zukunft“
Verantwortung im Handel
Liebe Theresa Schleicher, mit dem Leitthema Responsible Gardens fokussiert die spoga+gafa 2024 auf verantwortungsvolles Handeln. Welche Rolle spielen gemeinschaftliche Werte für einen erfolgreichen Handel?
Verantwortung spielt eine sehr große Rolle, wenn es um die Umsetzung von zukunftsweisenden Ideen geht. Im Moment gibt es das Problem, dass jeder sein eigenes Süppchen kocht, sei es bei technischen Innovationen oder nachhaltigen Lösungen. Jeder einzelne kann zwar etwas erreichen, aber wir schaffen nur ein erfolgreiches Umdenken in der Wirtschaft, wenn wir die gesamte Breite in den Blick nehmen. Es geht darum, die Verhaltensweisen des Mainstreams zu verändern. Das wird nur über gemeinsame Aktionen oder zumindest mit einer gleichen Einstellung erreicht.
Gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit
Welche Ansätze siehst Du dafür in der Grünen Branche?
Ich glaube, dass die Grüne Branche per se schon immer sehr gemeinschaftlich agiert hat – sei es in der Zusammenarbeit von Herstellern und Handel oder in der Kundenbegleitung. Die Thematik des Wohlfühlens im Grünen, eine eigene Rückzugsoase zu schaffen und in der Natur zu sein, basiert ja auf im Einklang stehenden Werten und ist sehr positiv besetzt. Nichtsdestotrotz bewegen wir uns in einem Wirtschaftssegment, bei dem es um Wachstum und Wettbewerb geht. Kooperationen finden hier an der ein oder anderen Stelle ihre Grenzen. Das ist auch in Ordnung, da Wettbewerb Innovationen fördert und Themen nach vorne bringt. Bei Megatrends, die alle tangieren, ist es aber leichter, wenn diese gemeinsam angegangen werden. Nachhaltige und regenerative Sortimente bringen etwas Positives in die Welt, egal ob das Pflanzen, Gartenmobiliar oder Grills sind. Neue Services im Bereich Kreislaufwirtschaft, recyclingfähige Produkte oder Konzepte für das Ausleihen von Produkten werden in Zukunft eine viel größere Rolle spielen. Auch das Thema Abfall und Verpackungen kann die Grüne Branche noch stärker mit antreiben, wenn sie Hand in Hand arbeitet.
Gemeinsam wird die Grüne Branche „grüner“. © Judy Beth Morris auf unsplash
Zukunftsstudie zu Regenrative Growth
Deine aktuelle Zukunftsstudie Handel hat den Schwerpunkt Regenerative Growth. Wie können Unternehmen in Zukunft verantwortungsvoll und trotzdem wirtschaftlich agieren?
Die Begriffe „Regenerativ“ und „Wachstum“ verweisen auf zwei Phänomene, die gesellschaftlich und wirtschaftlich auf unterschiedlichen Evolutionsstufen stehen. Nachhaltigkeit ist definiert aus dem Gedanken heraus, dass die Ressourcen unseres Planeten endlich sind und wir mit deren Verknappung umgehen müssen. Dazu gehört, dass wir uns einschränken und verzichten müssen. Die oberste Prämisse besteht daher in der Frage: „Was brauche ich und was brauche ich nicht?“ Das Regenerative ist die nächste Stufe der Nachhaltigkeit, nämlich wieder aufzubauen und Besseres in die Welt zu bringen. Ein Beispiel sind Düngemittel, die aus textilen Abfällen gewonnen werden. Die Ressource wird dabei genutzt, um wieder ein positives Produkt in den Markt zu bringen und einen Mehrwert zu schaffen. Dabei kommt der Begriff „Wachstum“ ins Spiel. Es geht darum, Produkte zu entwickeln, die Positives bewirken und Menschen etwas bedeuten. Wir sollten daher nicht von einer Konsumflaute, sondern von einem Konsumumdenken sprechen. Die Zukunft für die Wirtschaft sind relevante Lösungen für Kunden und Kundinnen, die gerne gebraucht und gekauft werden.
Chancen für die Kreislaufwirtschaft
Welche Chancen siehst Du denn für eine Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft?
Der Cradle-to-Cradle Ansatz wurde ja schon Anfang der 1990er-Jahre formuliert. Es ist weniger eine Frage der technischen und technologischen Umsetzung. Vielmehr ist es die Frage, wie schnell wir es schaffen, unsere Gewohnheiten zu ändern. Wir befinden uns in einem gelernten System mit festgelegten Produktionsprozessen. Viele Akteure stellen innerhalb des Systems punktuell Dinge um. Umfassendere Maßnahmen erfordern aber sehr viel höhere Investitionen. Viele Unternehmen sind daher unsicher, weil sich innerhalb einer Legislaturperiode die Politik und damit gesetzliche Vorgaben auch wieder ändern können. Außerdem können Entwicklungen mit neuen Forschungsergebnissen schnell überholt sein. Kunden und Kundinnen kaufen auch nicht immer die nachhaltigsten Produkte, obwohl Umfragen etwas anderes vermuten lassen. Solange der Handel mit solchen Produkten nicht ausreichend Umsatz generiert, wird sich das System selbst erhalten. Ein Wandel würde sich schneller vollziehen, wenn viel mehr Unternehmen mit Freude und lautstark ästhetisch ansprechende und bessere, weil Ressourcen schonenden Produkte auf den Markt bringen würden. In der Grünen Branche spielen Faktoren wie Ästhetik, Genuss und Wohlbefinden eine Rolle, die mit verantwortungsvollen Verfahren für die Herstellung verbunden werden müssen.
Die große Aufgabe des Handels ist es, Menschen für die richtigen Produkte zu begeistern. © Cathal Mac an Bheatha auf unsplash
Verändertes Verbraucherverhalten
Du hast das ambivalente Verhalten von Verbrauchern und Verbraucherinnen angesprochen. Was sollten Unternehmen künftig beachten, um Konsumenten zu erreichen?
Im vergangenen Jahr habe ich eine Erhebung mit 1.500 Menschen in der DACH-Region durchgeführt. Ein Ergebnis war, dass 73 Prozent der Jugendlichen Nachhaltigkeit als das spannendste und interessanteste Zukunftsthema betrachten. Warum? Weil es um die Jobs der Zukunft geht und sich damit viele neue Berufsbilder ergeben und neue Kompetenzen benötigt werden. Diese Freude an Innovation trifft auf eine aktuelle Marktwirtschaft, bei der viele Unternehmen durchaus in diese Richtung denken und entsprechende Produkte anbieten. Diese werden aber speziell in Deutschland noch sehr rational und zurückhaltend kommuniziert. Das geschieht häufig aus der Angst heraus, dass der Vorwurf des Greenwashings gemacht werden könnte, da noch nicht alles perfekt nachhaltig ist. In einem produzierenden Unternehmen kann aber auch nicht alles perfekt nachhaltig sein. Es ist Teil der deutschen Mentalität, dass wir immer alles 100 Prozent richtig machen möchten, bevor wir darüber sprechen. Das ist fatal, weil Unternehmen aus anderen Ländern viel offensiver solche Produkte auf den Markt bringen.
Künftige Aufgaben für den Handel
Welche Aufgaben ergeben sich daraus für den Handel der Zukunft?
Die große Aufgabe des Handels ist es, Menschen für die richtigen Produkte zu begeistern. Wenn Kunden und Kundinnen ambivalent sind und gerne nachhaltige Waren kaufen möchten, das aber nicht tun, muss nach den Gründen gefragt werden. Meistens liegt es nicht am nachhaltigen Angebot, sondern an der mangelhaften Kommunikation. Außerdem handelt es sich bei solchen Produkten häufig noch um Nischenprodukte, die mit einem höheren Preis verbunden sind. Wir könnten aber ganz viele Themen im Mainstream platzieren. Das würde dem Handel vieles erleichtern, da Konsumenten gerade in unsicheren Zeiten stärker auf den Preis achten. Je weniger in einem bestimmten Bereich gekauft wird, desto schwerer wird es auch die Preisstruktur zu verändern. Es ist ein langer Weg, bei der jede einzelne Facette sehr viel bewirken kann.
Theresa Schleicher als Keynote Speakerin auf der Eröffnungspressekonferenz der spoga+gafa 2024. © Koelnmesse GmbH
Vortrag auf der spoga+gafa
Unter der Überschrift „Was bleibt? Ein Blick auf die nächste Generation des Konsums“ wird Theresa Schleicher am 17. Juni einen Vortrag auf der spoga+gafa halten. Die Veranstaltung findet um 10:30 Uhr im Forum Garden Café in der Halle 6, am Stand D18/E19 statt.
Autor
Leif Hallerbach I Broekman+Partner